Ein sichtbares Zeichen des Widerstandes Hans Scholl und die Weiße Rose
von Folker Förtsch
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Wie schon 1940 im Frankreichfeldzug, den Hans Scholl ebenfalls als Sanitäter mitgemacht hatte, geriet er in eine Welt des Elends und Leides, was seine tiefste Empörung hervorrief: O Gott der Liebe, ... ich sehe auch das Werk der Menschen, unser Werk, das grausam ist und Zerstörung und Verzweiflung heißt und das die Unschuldigen immer heimsucht. Erbarme Dich dieser Kinder! Ist das Maß der Leiden noch nicht bald voll? Warum wird das Leid so einseitig ausgestreut? Wann fegt ein Sturm endlich all diese Gottlosen hinweg ...? (Tagebuch vom 31. Juli 1942). Dazu kamen Eindrücke, die geeignet waren, die Einsicht in den verbrecherischen Charakter des NS-Staates zu bestärken: In einer Transportpause besuchten die Freunde das Warschauer Ghetto, aus dem wenige Tage zuvor die Deportationen in die Gaskammern der Vernichtungslager begonnen hatten. Mehrfach wurden sie auch Zeugen der Misshandlung von Kriegsgefangenen.

Die Erfahrung des Russlandaufenthaltes, aber sicher auch die Tatsache, dass Vater Robert Scholl im August 1942 aufgrund einer regimekritischen Äußerung denunziert und zu vier Monaten Haft verurteilt worden war, führte zu einer Bestärkung und Intensivierung der Widerstandstätigkeit der „Weißen Rose“. Nach ihrer Rückkehr versuchten die Studenten mit Hochdruck, die Basis ihres Widerstands zu verbreitern. Es wurden Kontakte zu anderen Universitäten geknüpft mit dem Ziel, ein Netz studentischer Zellen aufzubauen und koordinierte Flugblattaktionen zu initiieren. Über Falk Harnack, dem Bruder von Arvid Harnack (Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“) und Schwager Dietrich Bonhoeffers (Bekennende Gemeinde), suchten die Münchner Verbindungen zu Berliner Widerstandskreisen.
Die beiden letzten Flugblätter, die Anfang 1943 erschienen, und an denen auch Professor Kurt Huber beteiligt war, hatten ihren philosophisch-akademischen Stil weitgehend abgelegt und waren in ihren Aussagen politischer. Als Grundsätze für die Neuordnung Deutschlands und Europas nach der Beseitigung des nationalsozialistischen Verbrechertums wurden die liberalen Grundrechte, Föderalismus, ein vernünftiger Sozialismus sowie die Zusammenarbeit der europäischen Völker formuliert. Zum Verteilen der Flugblätter kam eine weitere risikoreiche Aktionsform hinzu: Mehrfach schrieben Hans Scholl, Alexander Schmorell und Willi Graf heimlich antinazistische Parolen (Freiheit, Nieder mit Hitler) an Münchner Hauswände – erstmals in der Nacht vom 3. auf den 4. Februar 1943, unmittelbar nach der Bekanntgabe der vernichtenden Niederlage von Stalingrad.