Ein sichtbares Zeichen des Widerstandes Hans Scholl und die Weiße Rose
von Folker Förtsch
Am 22. September 1918 wurde im heutigen Crailsheimer Stadtteil Ingersheim Hans Scholl geboren. Sein Vater Robert Scholl war dort zu dieser Zeit Schultheiß. In den Jahren 1942 und Anfang 1943 wurde Hans Scholl in München zur zentralen Figur eines Kreises regimekritischer Studenten, der unter dem Namen „Weiße Rose“ eines der beeindruckendsten Beispiele des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Diktatur lieferte. Hans Scholl bezahlte seinen Einsatz für Freiheit und Humanität ebenso wie seine Mitstreiter aus dem engeren Zirkel der „Weißen Rose“, darunter seine jüngere Schwester Sophie, mit seinem Leben. Mit 24 Jahren starb er unter dem Fallbeil. Zum Zeitpunkt der Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 war Hans Scholl 14 Jahre alt und vieles schien zunächst auf eine zeittypische Karriere des begabten Jugendlichen in der nationalsozialistischen Hitlerjugend (HJ) hinzudeuten. Voller Begeisterung war er in Ulm, seit 1932 Wohnort der Familie, der NS-Jugendorganisation beigetreten – gegen den Willen seines Vaters, eines überzeugten Gegners des Nationalsozialismus. Die Hitlerjugend – in ihrer Anfangsphase noch relativ wenig normiert – nahm Elemente der älteren Jugendbewegungen auf und bot den Jugendlichen einen eigenen, von der Erwachsenenwelt deutlich unterschiedenen Lebensstil mit Fahrten und Lagern, Uniform und Liedern. Sie befriedigte das ausgeprägte Gemeinschaftsgefühl der jungen Menschen und bezog ihre Attraktivität auch aus dem hohen Maß an Verantwortung, das sie insbesondere den Führern einräumte. Hans Scholl engagierte sich voller Enthusiasmus und schaffte es innerhalb kurzer Zeit zum Fähnleinführer, einer Position, in der er immerhin für 160 „Pimpfe“ im Alter zwischen zehn und 14 Jahren verantwortlich war.

Aber bald machte Hans Scholl auch Erfahrungen, die seine Begeisterung dämpften und seine Einstellung zum NS-Regime allmählich änderten: Da war die jüdische Klassenkameradin seiner Schwester Sophie, die der Rassismus der Nazis von der Teilnahme am BDM (Bund Deutscher Mädel) ausschloss; da war die Verordnung einheitlichen Liedgutes, die es untersagte, die von Hans geliebten Volkslieder fremder Kulturen zu singen; und da war das Verbot „undeutscher“ Literatur, die auch Hans’ damaligen Lieblingsschriftsteller, den jüdischen Autor Stefan Zweig, betraf. Verstärkt wurde sein Bewusstseinswandel durch die Erfahrung des Menschen verachtenden Massenbetriebs auf dem Nürnberger Reichsparteitag 1935, an dem er in der „ehrenvollen“ Funktion des Fahnenträgers der Ulmer HJ teilnahm.
1936 kam es zum Eklat: Bei einem Appell wurde Scholls Einheit aufgefordert, ihre selbst angefertigte Fahne, auf der angeblich ein großes Sagentier zu sehen war, abzuliefern und durch die offizielle Hitlerjugend-Fahne mit dem Hakenkreuz zu ersetzen. Es kam zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Hans Scholl und einem höheren HJ-Führer, in deren Konsequenz Hans seines Postens enthoben wurde. Er fand Ersatz in der „Deutschen Jungenschaft“, einer bündischen Gruppe, die, obwohl offiziell verboten, unter dem Deckmantel der Mitgliedschaft in der Hitlerjugend ein gewisses Eigenleben bewahrt hatte. Im Unterschied zur HJ mit ihrer starren Hierarchie auf der Grundlage von Befehl und Gehorsam war hier persönliche Freundschaft das leitende Prinzip. Es wurden verbotene Lieder gesungen und verfemte Autoren gelesen; man beschäftigte sich mit moderner, von den Nazis als „entartet“ diffamierter Kunst. Die „bündischen Umtriebe“, die das Regime im Spätherbst 1937 in einer reichsweiten Polizeiaktion zerschlug, brachten Hans Scholl fünf Wochen Untersuchungshaft. Spätestens in diese Zeit fällt die innere Wiederannäherung an die Familie, vor allem den Vater, auch in politischer Hinsicht. Die Familie wurde zur kleinen festen Insel in dem ... immer fremder werdenden Getriebe (Inge Scholl).