Eugen Grimmingers Zeit in Crailsheim

(Vortrag von Folker Förtsch anläßlich der Buchvorstellung von Dr. Armin Ziegler "Eugen Grimminger - Widerständler und Genossenschaftspionier" am 12. April 2000 in Crailsheim)

Es war kein einfaches Verhältnis, das Eugen Grimminger mit seiner Geburts- und Heimatstadt Crailsheim verband, es gab Enttäuschungen und Anfeindungen, beinahe so etwas wie eine Flucht weg aus der Enge und Provinzialität; und dennoch: Eugen Grimminger blieb Crailsheim immer verbunden, und sicherlich nicht nur, weil seine Verwandten und einige Freunde hier lebten. Wer Grimmingers autobiografischen Aufzeichnungen aus den sechziger und siebziger Jahren liest, in denen er seine Kindheits- und Lehrjahre in Crailsheim beschreibt, dem wird deutlich, daß ihn mit dieser Stadt zeitlebens ein emotionales Verhältnis verband, daß er in seinen Crailsheimer Jahren Prägungen erfuhr, die für seinen weiteren Lebensweg von großer Bedeutung waren, und zwar nicht nur für seine berufliche Karriere im Genossenschaftswesen, sondern auch für seine Rolle im Widerstand gegen das Hitlerregime.

Ich möchte im folgenden in der gebotenen Kürze einige aus meiner Sicht bemerkenswerte Aspekte aus Eugen Grimmingers Zeit in Crailsheim herausgreifen und versuchen, sie in den Zusammenhang seiner Gesamtbiografie einzuordnen:

Eugen Grimminger als Soldat, 1914
Eugen Grimminger als Soldat, 1914

Eugen Grimminger wurde am 29. Juli 1892 in Crailsheim geboren. Er war das siebente und jüngste Kind von Franz Xaver Grimminger, der sieben Jahre zuvor als Lokomotivführer nach Crailsheim versetzt worden war. 1887 kaufte der Vater das Haus Bahnhofstraße 15, das Geburtshaus Eugen Grimmingers, von dem leider nur noch einige wenige Fotos existieren. Das Haus gehörte zuvor der Familie des Rechtsanwalts Friedrich Kopp, jenem Kopp, der 1848/49 als der Führer der Revolution in Crailsheim auftrat und für den Crailsheimer Bezirk im württembergischen Landtag saß - ein Omen? Zumindest ein interessanter Zufall!

Der Vater wird von Eugen als "sehr eigenwillig" beschrieben. "Er, aus einer gut katholischen Familie, heiratete die protestantische Mutter, was zu einem bösen Zerwürfnis in der Familie führte." Man hat fast den Eindruck, daß der Vater ein Muster vorgab, das der Sohn in noch verschärfter Form - durch die Ehe mit einer Jüdin - ausfüllte.

Vater Grimminger war aber auch ein gesellschaftlich engagierter und angesehener Mann in Crailsheim. Er saß neben den Honoratioren der Stadt im Ausschuß des Bürgervereins, für einen Lokomotivführer doch recht ungewöhnlich, und seine Beiträge dort lassen einen durchaus unabhängigen Geist erkennen.

Wenn Eugen Grimminger in der Rückschau feststellte: "Der beste Freund, den ich hatte, war in hohem Alter mein Vater, der mit 89 Jahren (1939) starb", dann wird nicht nur die Isolation Grimmingers aufgrund seiner jüdischen Frau und seiner politischen Haltung in diesen Jahren deutlich, sondern auch das besondere Vertrauensverhältnis zum Vater.

1898 trat Eugen Grimminger in Crailsheim in die Volksschule ein, anschließend in die Realschule, die er 1907 mit dem sogenannten Einjährigen, was heute in etwa der Mittleren Reife entspricht, abschloß. Die Fortführung der Schulausbildung bis zur Reifeprüfung lehnte er entgegen dem Wunsch der Eltern ab, er hatte bereits genug "körperlich und geistig notgelitten". Übrigens ein Entschluß den Grimminger später sehr bereute.

Von 1907 bis 1909 folgte die Lehrzeit im Verwaltungsfach auf dem Crailsheimer Rathaus. Grimminger hatte in dieser Zeit große Probleme mit seinem Selbstwertgefühl. Im Rückblick schreibt er:

"Ein wesentliches Merkmal der Zeit war für mich, daß jeder andere Kollege anscheinend mehr wußte wie ich, er intelligenter war, gewandter im Auftreten, größere Erfolge hatte bei den Mädchen. So schloß ich mich mehr und mehr von meinen Kollegen und Freunden ab, setzte mich hinter Bücher, las nächtelang und suchte schließlich meine Minderwertigkeitskomplexe zu überwinden, dadurch, daß ich mich enger an meine Schwester anschloß, fromm wurde..."

Das Minderwertigkeitsgefühl Grimmingers steigerte sich noch durch das Auftreten der früheren Schulkameraden, die das Maturum (Abitur) abgelegt hatten und nun mit den Insignien des Studenten (Band und Mütze und "verhauene Visagen") einherstolzierten. In der Wahrnehmung Grimmingers entstand eine "Kluft so etwa wie zwischen dem Himalaya und der Tiefebene von Holland". Grimminger weiter: "Diese Kluft hat sich nie verringert, ist immer geblieben bis zu dem Zeitpunkt, als ich sehr viel später die Hohlheit und Leere all dieser Dinge aus nächster Nähe kennen und begreifen lernte, daß hier viel Angeberei ... eine große Rolle spielte."

Grimmingers Skepsis gegenüber seinen Mitmenschen hat in dieser Lebensphase eine ihrer Wurzeln.

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