Eugen Grimmingers Zeit in Crailsheim

Noch eine zweite Konsequenz zog Grimminger aus den Erfahrungen der Lehr- und Gehilfenjahre in der Verwaltung: "... ich ... schwor mir, nie in meinem Leben werde ich ein Staatsbeamter". Das war nicht nur der Aufschrei eines frustrierten Hilfsarbeiters, eines "Mädchen für alles" auf der untersten Stufe der Hierarchie. Dahinter steckte ein aus der konkreten Erfahrung gewonnenes tiefes Mißtrauen gegen die anonyme Macht "Staat": Wir werden nur noch verwaltet, und Schuld daran sind die guten Sitzungsgelder derer, die die Gesetze machen... Ja, oft hat man den Eindruck, man lebt nicht selbst, sondern man wird gelebt .. mindestens die Hälfte unseres Lebens, wenn nicht mehr, ist reglementiert, wird geführt, geleitet, verwaltet vom Staat - einer anonymen Macht."

Bei Kriegsausbruch 1914 meldete sich Eugen Grimminger wie so viele seiner Altersgenossen freiwillig. Er war damals 22 Jahre alt und machte den Ersten Weltkrieg bis zum Ende 1918 als Soldat bei der Artillerie mit, in den ersten Jahren durchaus überzeugt von der Notwendigkeit seines Einsatzes.

Aber die Realität des Krieges, die Massenschlächterei der Kämpfe an der Flandern-Front, die Grimminger hautnah miterlebte, ließen ihn als Pazifisten nach Hause zurückkehren. Zu seiner inneren Wandlung trug auch die Beziehung zu der Französin Reneé Villard bei, eine Freundschaft, die ihr ganzes Leben anhielt.

Grimminger begann seine Kriegserfahrungen und die Beziehungen zu ihr in Gedichten zu verarbeiten. Nach dem Krieg erschien 1921 sein in Crailsheim geschriebener Roman "Rosel Steinbronners Liebe", die Geschichte der Liebe zweier Menschen in Zeiten des Krieges ihrer Völker.

Der Abscheu gegen Gewalt und Krieg wurde in der Folge zu einer festen Konstante in den Überzeugungen Eugen Grimmingers. Er trat aus der evangelischen Kirche aus. Begründung: ".. weil ich einen inneren Konflikt durchmachte, wenn der evangelische Pfarrer zum Kampf aufforderte, während er meines Erachtens von der Menschenliebe hätte predigen sollen."

Und in seiner ersten Vernehmung durch die Gestapo nach seiner Verhaftung bekannte Grimminger überraschend freimütig: "Der Ausbruch des gegenwärtigen Krieges war für mich ein neuer Schlag, denn als Weltkriegsteilnehmer 1914/18 tut mir eben alles leid, was durch einen Krieg in Mitleidenschaft gezogen wird. Dabei gehe ich von dem Gedanken aus, daß es doch möglich gewesen sein müßte, diesen Krieg zu vermeiden."

Nach seiner Heimkehr aus dem Krieg arbeitete Grimminger beim Oberamt Crailsheim. Er war verantwortlich für eine kleine Dienststelle, die sich Kommunalverband Crailsheim nannte und per gesetzlichem Auftrag als "örtlicher Träger der Ernährungswirtschaft" fungierte. In Fortführung der Bestimmungen der Kriegswirtschaft war diese Behörde bis 1922 für die Erfassung, Ablieferung und Verteilung landwirtschaftlicher Produkte, aber auch von Bekleidung zuständig.

In dieser Funktion gewann Grimminger wichtige Erfahrungen in allen Bereichen der Landwirtschaft - Erfahrungen, die für seine spätere Tätigkeit beim landwirtschaftlichen Genossenschaftsverband von großer Bedeutung waren.

Als verantwortlicher Leiter dieser Behörde sah sich Grimminger wiederholt zum Teil heftigen Angriffen insbesondere aus Arbeiterkreisen ausgesetzt. Die Unzulänglichkeiten, die die allgemeine Knappheit und Rationierung der Nahrungsmittel in Folge des Krieges mit sich brachten, wurden ihm und der von ihm geführten Behörde angekreidet; für Grimminger sicherlich auch eine wichtige Schule für kommende Auseinandersetzungen.

Die Zeit beim Kommunalverband machte Eugen Grimminger aber auch mit zwei Personen bekannt, die für sein weiteres Leben von zentraler Bedeutung wurden. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit lernte er Robert Scholl, den damaligen Schultheißen von Ingersheim- Altenmünster kennen; Keim einer Beziehung, die letztendlich zur Beteiligung Grimmingers an den Aktionen der "Weißen Rose" führte.

Eugen und Jenni Grimminger (geb. Stern)
Eugen und Jenni Grimminger (geb. Stern)

Und er begegnete Jenni Stern, die als Angestellte des Oberamts ebenfalls beim Kommunalverband arbeitete. Zwischen Grimminger und der drei Jahre jüngeren Frau jüdischer Abstammung entstand ein Liebesverhältnis und im August 1922 heirateten sie. Sowohl im familiären Umfeld Grimmingers (Ausnahme der Vater) als auch in seiner Heimatstadt stieß die Verbindung auf große Ablehnung. Grimminger in einer nachträglichen Schilderung: "Nun begann eine schleichende Verfemung. Da wir bisher in einer Kleinstadt lebten, heiratete die halbe Stadt mit. Ich wurde angesprochen, ob ich mich nicht schäme. Meine Freunde zogen sich nach und nach zurück."

Die vermeintliche Normalität im Zusammenleben von Christen und Juden wurde durch die Ehe Grimmingers schwer erschüttert. Antisemitische Ressentiments schwebten an die Oberfläche und entlarvten die angebliche Integration der Juden als brüchige Fassade.

Eugen und Jenny Grimminger verließen Crailsheim und zogen nach Stuttgart.

Damit endet nach 30 Jahren die eigentliche Zeit Eugen Grimmingers in Crailsheim. Es ist jedoch abschließend noch kurz auf drei Begebenheiten aus den folgenden Jahrzehnten hinzuweisen, in denen Crailsheim für Grimminger erneut große Bedeutung erlangte.

Das erste ist ein Dokument infamer Denunziation. Es stammt aus der Feder des damaligen Crailsheimer Kreisleiters. Ich möchte aus diesem Schreiben vom 26. April 1935 nur einen Absatz zitieren: "Wir können es aber nicht verstehen, wenn solche merkwürdige Volksgenossen, jüdisch verheiratet, heute noch ihre Nase in alle möglichen Dinge stecken dürfen & in nationalsozialistischen Organisationen tätig sein können, nachdem derartige Leute in staatlichen Aemtern entlassen wurden. Ich glaube nicht, dass der Führer dies wissen dürfte u. für den "Stürmer" gäbe die Angelegenheit einen fetten Bissen". Folge dieses Schreibens: Grimmingers Entlassung beim Genossenschaftsverband.

Auch in seiner eigentlichen Widerstandszeit unterhielt Eugen Grimminger Kontakte nach Crailsheim. Bekannt ist, daß er von der hiesigen Kinobesitzerin Berta Wagner 1000 Mark bekam, mit denen er Hans Scholl und die "Weiße Rose" unterstützen konnte.

Schließlich hat Grimminger in den fünfziger Jahren versucht, seinen Alterssitz wieder zurück nach Crailsheim zu verlegen. Der gewünschte Kauf eines Grundstücks am Karlsberg scheiterte jedoch, da das Areal damals noch nicht als Baugebiet vorgesehen war.

(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Hohenloher Tagblatts)

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