Scholls Schreibmaschine

Die Schreibmaschine hätte wohl in einer Amtsstube des Volksgerichtshofes Berlin ih-rem in Kriegszeiten ungewissen Schicksal entgegengesehen, wäre nicht die Gestapo München weiterhin tätig gewesen und auf den Besitzer der Schreibmaschine gestoßen. Dieser hieß Karl Pötzl, geboren am 21.11.1919 in Wien, von Beruf Chemotechniker, Mitglied der SS, und "wohnt in der Nähe des Einfamilienhauses der Familie Dr. Schmo-rell. Er kennt Alexander Schmorell von Kindheit an." "Wiederholt" habe er die Maschine an Schmorell ausgeliehen. Karl Pötzl wurde von der Gestapo verhört und konnte ent-lastend nachweisen, er habe "keine Ahnung, zu welchen Zwecken die Schreibmaschine verwendet worden ist". Deswegen habe er um deren "Herausgabe gebeten".

Diese Angaben enthält ein Schreiben vom 1. Juli 43 des Rechtsanwalts Siegfried Dei-singer an den Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in Berlin. Anscheinend war es Pötzl nicht gelungen, auf Anhieb seine Maschine zu erhalten, sondern die Gestapo hat-te ihn auf Berlin verwiesen. Deswegen beauftragte er seinen Rechtsanwalt am 30. Juni 1943 - also über vier Monate nach dem ersten Weiße-Rose-Prozess - sein Anliegen energisch zu vertreten, sicher auch um jeden Verdacht von sich zu weisen, er habe fahrlässig einem "Hochverräter" zugearbeitet. Sein Mandant benötige die Maschine "vor allem auch deshalb, weil er bei dem SS-Sturm 12/1 als Hinterbliebenenbetreuer tätig ist, und sehr viele Schreibarbeiten zu verrichten hat". Dieses gelte auch für sei-nen jüngeren Bruder Hermann, der bei der HJ Jungvolkführer sei. "Die Jungvolkdienst-stelle des Unterbanns 12/Bann L hat bereits vor kurzem ebenfalls an die Gestapo in München einen entsprechenden Antrag auf Freigabe der Maschine gestellt."

Der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof konnte mit dem Ersuchen des Rechtsan-waltes nichts anfangen und beschied deshalb am 6. Juli 43 kurz und knapp: "Ein Ver-fahren gegen Pötzl ist hier nicht anhängig. In dem Verfahren gegen Schmorell u .A. ist die Schreibmaschine nicht eingezogen worden."

Mit dieser Reaktion der Berliner Justiz konnte sich die Gestapo München nicht zufrie-dengeben und hakte am 19.Juli 43 per Einschreiben nach: Sie berief sich nicht auf das Verfahren gegen Schmorell u. a., sondern auf die Strafsache gegen Hans Scholl u.a. und führte aus: Die Schreibmaschine "wurde am 19.02 43 im Keller des Ateliers Ei-ckemeyer… vorgefunden und sichergestellt und u. a. am 22. 2.43 dem Volksgerichts-hof zu der am gleichen Tage im Justizpalast in München durchgeführten Hauptver-handlung gegen Hans Scholl u. A. wegen Vorbereitung zum Hochverrat… als Beweis-mittel vorgelegt. Über den Verbleib dieser Schreibmaschine ist hier weiteres nicht be-kannt."

Auf dieses Schreiben an den Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof erhielt die Gesta-po München zunächst keine Antwort. Der Sommer 1943 verging und erst wieder am 17. September 43 sandte der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht Mün-chen an den Oberreichsanwalt Berlin eine Aufstellung der Gegenstände, die in der Strafsache gegen Johann(!) Scholl in die Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft gelangt seien. Darunter befand sich auch die gesuchte Schreibmaschine, die am 29. März zusammen mit der Erikaschreibmaschine und einem Vervielfältigungsapparat nach Berlin gesandt worden sei.

Damit war der Verbleib der Schreibmaschine anscheinend geklärt. Doch einen Monat später - am 16. Oktober 43 - schickte Rechtsanwalt Deisinger einen geharnischten Be-schwerdebrief an die Reichsanwaltschaft beim Volksgerichtshof. Er nahm darin Bezug auf sein "Gesuch" vom 1. Juli, erwähnte den ablehnenden Bescheid vom 6. Juli seitens des Volksgerichtshofs und erklärte, seine Geduld sei nunmehr am Ende, da er bis Ok-tober gewartet habe, ob die Gestapo, "eine Äußerung über diese Angelegenheit abge-ben würde". Auf Nachfrage habe er am 15. Oktober "fernmündlich den Bescheid" er-halten, "dass nunmehr die Angelegenheit wieder an die Reichsanwaltschaft zurückge-geben worden sei". Der Anwalt schrieb sich seinen Frust von der Seele, wenn er be-merkte: "Ich kann nicht umhin mein Erstaunen über diese Geschäftserledigung auszu-drücken. Es ist wohl nicht unbillig, wenn mein Mandant nunmehr dringend die Bitte ausspricht, dass endlich einmal ein Bescheid über die Herausgabe seiner Schreibma-schine ergeht, zumal er, wie schon früher betont, als SS-Mann dringend auf die Benüt-zung der Schreibmaschine angewiesen ist."

Dieses Schreiben sorgte in der Folge mehr für Verwirrung, als dass es der Klärung diente. Denn schon am 26.Oktober 43 teilte die Reichsanwaltschaft dem Rechtsanwalt zwar mit, dass die Schreibmaschine "freigegeben und an die Staatspolizeistelle Mün-chen übersandt worden" sei. Aber wiederholte Versuch des Rechtsanwalts, die Maschi-ne von der Gestapo zu erhalten, waren vergeblich. Erst Anfang Januar wurde meinem Mandanten von der Gestapo "mündlich mitgeteilt, dass diese Schreibmaschine über-haupt nicht vorhanden und deshalb auch nicht von der Reichsanwaltschaft zurückge-sandt worden sei".

Der Rechtsanwalt betonte in einem Schreiben an die Reichsanwaltschaft, jetzt schon vom 18. Januar 44, sein Mandant habe sich "nunmehr schon mehr als ein halbes Jahr bemüht, diese für ihn höchst wichtige Schreibmaschine wieder zu bekommen", und ersuchte in erstaunlich sachlichem Ton um "genaue Angabe" zum Zeitpunkt und Ort der Absendung der Maschine.

Das Schreiben traf am 20. Januar 44 bei der Reichsanwaltschaft ein, und es dauerte nur noch eine Woche, bis die Berliner Behörde die Maschine tatsächlich nach München verschickte. Nicht weniger als vier Justizbeamte bearbeiteten den Fall und der vierte notierte am 27. Januar: "Die Maschine konnte heute erst abgesandt werden, da nie-mand (!) wusste, wer die Maschine hatte, sie war Herrn E. St. A. (Ersten Staatsanwalt, d. V.) Dr. Busch zur Verfügung gestellt worden."

Warum plötzlich alles so rasch ging und selbst die Gestapo München noch einmal am 18. Januar 44 nachfragte, muss offen bleiben. Denkbar ist, dass eine höhere SS-Instanz Druck gemacht hat, hob doch der Anwalt am Schluss des Schreibens vom 18. Januar 44 ausdrücklich hervor: "Ich habe schon früher betont, dass mein Mandant SS-Mann ist und die Maschine gerade hauptsächlich zur dienstlichen Tätigkeit bei der SS benötigt".

Am 4. Februar 44 konnte die Gestapo München nach Berlin Vollzug melden, denn am gleichen Tag hatte Karl Pötzl "den Empfang der an den Hochverräter Alexander Schmorell ausgehändigten Reiseschreibmaschine, Marke Remington Portable Nr. NL 82 533M" mit seiner Unterschrift bestätigt. - Zwischen ihrer Beschlagnahme und ihrer Freigabe war fast ein Jahr vergangen!

Foto: Paul Velthaus
Foto: Paul Velthaus

Das Hickhack um die Schreibmaschine zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, wie sehr auch "normale" Männer im bürokratischen Verwaltungsstaat sich den Paragraphen und Vorschriften beugten. Der NS-Staat konnte eben nur funktionieren, wenn jeder "Volks-genosse" an dem ihm zugewiesenen Platz seine "Pflicht" erfüllte - bis der totale Krieg seit 1943 zunächst gegen die äußeren Feinde, dann zunehmend gegen die eigene Be-völkerung zum grausamen Ende der "Volksgemeinschaft" führte.

 

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