Scholls Schreibmaschine
Seite 2
Sie war das Tatwerkzeug
Scholls Schreibmaschine
von Giselher Technau
Es ist offensichtlich, dass die fünf Tage vom 18. Februar bis zum 22. Februar 1943, also die Zeit von der Verhaftung der Geschwister Scholl und Christoph Probst bis zu ihrer Hinrichtung, den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte des Widerstandes der "Weißen Rose" bilden. Sie stellen eben nicht nur einen Endpunkt dar, wie ihn das NS-Regime durch rasches, brutales Eingreifen erreichen wollte, sondern auch den Aus-gangspunkt für eine fortdauernde Wirkung der "Weißen Rose" bis heute: "Beweist durch die Tat, dass ihr anders denkt!"
In den Akten, die die Gestapo München angelegt hat und die im Bundesarchiv in Ber-lin-Zehlendorf einzusehen sind, lässt sich auch nachlesen, wie führende Nazi-Funktionäre in diesen fünf Tagen eifrigst bestrebt waren, das Todesurteil des Volksge-richtshofes unter Vorsitz des "Blutrichters" Freisler vorzubereiten und auszuführen.
Schon am 19. Februar beantragte Gauleiter Giesler bei Reichsleiter Bormann, er solle durch Hitler veranlassen, dass das Verfahren gegen die Soldaten Hans Scholl und Christoph Probst vom Reichskriegsgericht, das eigentlich zuständig war, mit sofortiger Wirkung an den Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof abzugeben sei. Der General-feldmarschall Keitel stimmte noch am gleichen Tag fernmündlich zu und entließ die "beteiligten Soldaten aus der Wehrmacht".
Auch der Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München, Wüst, bemühte sich einen Beitrag zu leisten, um den Studenten seiner Universität zusätzlich zu demütigen: Hans Scholl musste an seinem Todestag eine Erklärung unterschreiben, dass er "we-gen staatsfeindlicher Betätigung mit dem dauernden Ausschluss vom Studium an allen deutschen Hochschulen bestraft wird".
Selbst die einfachen Justizbeamten erwiesen sich als über die Maßen diensteifrig. So liegt den Akten ein Zettel bei, auf dem der Justizsekretär, der ihn am 22. Februar in die Zelle begleitet hat, eine "Meldung" erstattete: "Hans Scholl bezeichnete die heutige Verhandlung als ."
Im Hinblick auf das Schicksal von Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst mag es zunächst banal erscheinen, wenn man sich nicht mit den Gedanken und Taten der Widerstandskämpfer, sondern mit ihrem Tatwerkzeug beschäftigt: z. B. mit ihrer Schreibmaschine. Dafür spricht aber der Umstand, dass die Beschaffung von Geld und Material für die Flugblattherstellung und -verbreitung eine große Rolle spielte. So un-terstand Sophie Scholl anscheinend die Kassenverwaltung, und Eugen Grimminger wä-re ohne die Bitte von Hans Scholl, ihre Gruppe finanziell zu unterstützen, nicht in den Verdacht geraten, ein Hochverräter zu sein.
Alexander Schmorell, genannt Schurik, wiederum war es gelungen, für die Anfertigung der Flugblätter 4 bis 6 eine Reiseschreibmaschine, eine Remington Portable (Nr. NL 82533M) zu besorgen. Die Studentin Gisela Schertling, die mit den Geschwistern Scholl befreundet war, gestand im Verhör vom 29. März 1943, dass sie gehört habe, dass "Mitte Januar" Hans und Schurik "auf der Schreibmaschine arbeiteten. Was die beiden in dieser Nacht geschrieben haben, habe ich nicht erfahren." - Es war natürlich das fünfte Flugblatt.
Am gleichen Tag, am 29. März, wurde die Schreibmaschine vom Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht München auf Anforderung der Asservatenhinterlegungsstel-le zum Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof Berlin übersandt, gemeinsam mit einer weiteren Schreibmaschine und dem Vervielfältigungsapparat. Diese Geräte hatte die Gestapo München am 19.02.43 im Keller des Ateliers des Architekten Eickemayer be-schlagnahmt, nachdem Hans und Sophie Scholl in den Verhören angegeben hatten, wo "verschiedene Gegenstände, die sie zur Herstellung der Flugschriften verwendeten, verwahrt seien". Die Remington Portable diente als wichtigstes Beweismittel im Pro-zess gegen Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst, sie war das Tatwerkzeug.
Mit der Aufgabe, festzustellen, ob die Flugblätter und die Adressen mit der aufgefun-denen Schreibmaschine "gefertigt" wurden, beauftragte die Gestapo die kriminaltech-nische Untersuchungsstelle. Diese hatte seit Anfang Februar Vorarbeiten geleistet, weil sie schon das fünfte Flugblatt "eingehend untersucht" hatte. Dabei wurden die Lettern zunächst mikroskopisch betrachtet, dann wurde festgestellt, "dass die Typen in keine der 46 (!) deutschen Schreibmaschinengruppen einzureihen waren"; schließlich wurde "entsprechendes Material … an das kriminaltechnische Institut der Sicherheitspolizei in Berlin gesandt", es sollte ermitteln, welches nichtdeutsche "System in Frage kommen konnte".
Am 20. Februar konnten auf der tags zuvor "sichergestellten Schreibmaschine Marke Remington Portable… Schriftproben gefertigt" und mit den Typen der beschlagnahmten Flugblätter verglichen werden. Das Ergebnis des Typenvergleichs ist bekannt; daneben wurde festgestellt, dass die Adressen auf den Briefbögen größtenteils auf der zweiten Schreibmaschine, einer Erika-Schreibmaschine, damals deutschlandweit am meisten verkauft, getippt worden waren.
Das Gutachten der kriminaltechnischen Untersuchungsstelle München vom 21. Februar 43 gelangte zu folgenden Ergebnissen: "Auf der Remington Portable … wurden geschrieben: a) die Wachsmatrizen zu den Flugblättern der "Weiße Rose", der "Widerstandsbe-wegung in Deutschland", die mit der Überschrift "Kommilitoninnen, Kommilito-nen" und die mit der Überschrift "Deutsche Studentin, Deutscher Student", b) ein Teil der Anschriften an Adressaten in München und drei Anschriften an sol-che in Wien." Die restlichen Anschriften seien auf der Erika-Schreibmaschine geschrieben.
In der Anklageschrift gegen Hans Scholl vom 21. Februar werden diese Erkenntnisse nur in zwei Sätzen wiedergegeben: Hans Scholl "entschloss sich … zur Herstellung und Verbreitung von Flugblättern, die seine Gedanken unter die breiten Massen tragen soll-ten. Er kaufte sich einen Vervielfältigungsapparat und verschaffte sich mithilfe seines Freundes Alexander Schmorell, mit dem er sich oft über seine politischen Gedanken unterhalten hatte, eine Schreibmaschine." Weitere Angaben zur Art der Beschaffung bzw. zur Finanzierung der Maschine enthielt die Anklageschrift nicht, vielleicht auch deswegen, weil Alexander Schmorell noch flüchtig war und erst am 24. Februar ver-haftet wurde.