Theodor Haecker (1879 - 1945) Ein Mentor der "Weißen Rose"

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Eine genaue Lektüre der Flugblätter lässt erkennen, wie sehr Scholl manche von ihm verfassten Passagen im prophetischen Duktus seines Mentors Haecker schrieb. Schon beim ersten Blick auf die Flugblätter fallen Begriffe auf wie "Rachen des unersättlichen Dämons", "atheistische Kriegsmaschine" (F1), "stete Lüge", "Sinn der Geschichte" (F2), "Diktatur des Bösen", "Ausgeburt der Hölle" (F3), der "stinkende Rachen der Hölle", "der Kampf wider den Dämon, wider den Boten des Antichrists." (F4)

Wenn man Haeckers Tag- und Nachtbüchern liest, sieht man, wie diese Wortwahl vorgeprägt war: stets wird dort Geschichte als Kampf zwischen Heil und Unheil gedeutet. Mit dieser Antithetik hatte der Konvertit Haecker schon im Kriegsjahr 1940 über den Papst und die Bischöfe geklagt: "Die prophetische Stimme der Kirche ist verstummt, es ist, wie wenn ihr prophetisches Amt suspendiert wäre. Gehört das auch zur Stunde des Bösen?" "Die Stunde des Bösen ist die Stunde, da die Wächter blind sind."

Am 10. Juli 1942 notierte Willi Graf in sein Tagebuch: "Häcker liest uns aus ‚Der Christ und die Geschichte'. Noch lange sind wir zusammen: Hans und Alex." An jenem Abend hatte Haecker auch aus den Tag- und Nachtbüchern vorgelesen. Hier ein Auszug: "Sie haben bis jetzt alle ihre Erfolge und alle ihre Siege im Zeichen des Antichrist errungen, und ihr wollt glauben, daß sie Christus nicht verfolgen. Wer uns das noch einreden will, der ist nicht einmal mehr ein Dummkopf, der ist ein Heuchler."

Die letzte Lesung Haeckers im Freundeskreis fand am 4. Februar 1943 statt. Theodor Haecker griff die Frage auf, wie Gott eine Welt erschaffen konnte, "in der es all das Entsetzliche an Leid und Leiden und Tränen gibt". Sophie Scholl schilderte ihre Eindrücke in einem Brief: "Seine Worte fallen langsam wie Tropfen, die man schon vorher sich ansammeln sieht, und die in diese Erwartung hinein mit ganz besonderem Gewicht fallen. Er hat ein sehr stilles Gesicht, einen Blick, als sähe er nach innen. Es hat mich noch niemand so mit seinem Antlitz überzeugt wie er."

Nach der Verhaftung von Hans und Sophie Scholl am 18. Februar 1943 wurde auch Haeckers Wohnung durchsucht. Seine Tochter Irene kam in der Mittagspause nach Hause. An den Autos der Gestapo erkannte sie die Gefahr; die Wohnung des Vater war voller Gestapoleute. Auf einem Sessel im Wohnzimmer erblickte Irene die Aufzeichnungen der Tag- und Nachtbücher. Sie ergriff dieses Bündel und verließ das Haus unter dem Vorwand, sie müsse umgehend zur Klavierstunde. Im nahen Pfarrhaus tauschte sie die Notate ihres Vaters in echte Noten um. Als Irene zurückkam, wurde ihre Tasche von einem Gestapomann durchsucht. Zutage kamen Klaviernoten. Das Verfahren wegen Hochverrats wurde später eingestellt.

Nach der Hinrichtung von Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst am 22. Februar 1943 versank Theodor Haecker in einem "Meer der Schwermut"; er verstummte bis Juni 1943. Eugen Turnher, ein Münchner Weggefährte Haeckers, schrieb mir am 8. Dezember 2001: "Ihn bewegte dabei nicht nur Trauer und Schmerz, sondern immer wieder die Frage, ob Einsatz und Verlust unserer Freunde in einem richtigen Verhältnis standen. Diese Frage ließ ihn nie los, er kam immer wieder auf sie zurück."

Einen Monat vor Kriegsende, am 9. April 1945, starb Theodor Haecker in Ustersbach (bei Augsburg). In seinem Wirkungskreis München erinnert nichts mehr an ihn; nirgendwo findet sich eine Gedenktafel; keine Straße wurde nach ihm benannt. Und als Bundespräsident Johannes Rau in seiner Münchner Gedächtnisvorlesung 2003 die Mentoren der "Weißen Rose" namentlich erwähnte, da fehlte freilich ein Name: Theodor Haecker.

Literatur:
Otl Aicher, Innenseiten des Kriegs, Frankfurt am Main 1985
Theodor Haecker, Tag- und Nachtbücher 1939 - 1945; hrsg. von Hinrich Siefken, Innsbruck 1989
Jakob Knab, "Es lebe die Freiheit!" Der evangelische Christ Hans Scholl (1918-1943) - geprägt von "katholischen Menschen großen Formats"; in: KONTAKT 2/2003

(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Jakob Knab (externer Link, neues Fenster))

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