Theodor Haecker (1879 - 1945) Ein Mentor der "Weißen Rose"

Jakob Knab

in: Geschichte Quer; Heft 12 (2004)

Im November 1986 besuchte ich Otl Aicher (1922 - 1991) und Inge Scholl (1917 - 1998) in der "freien Republik" Rotis. Beide schlossen mich in ihr Herz, weil ich den Namen Theodor Haecker und auch dessen Tag- und Nachtbücher kannte. Haeckers Hauptwerk ist - so Otl Aicher - "eine zornige, prophetische Abrechnung" mit dem Ungeist der "deutschen Herrgottreligion".

Weltweit bekannt wurde der Designer Otl Aicher durch seine Piktogramme; damit prägte er das Erscheinungsbild der Olympischen Spiele 1972 in München. Aufgewachsen in Ulm-Söflingen, war der dezidierte Jungkatholik Otl Aicher nie anfällig für das "verseuchte Denken" des Nationalsozialismus. Aicher wurde nicht zum Abitur zugelassen, weil er sich weigerte, der Hitlerjugend beizutreten. Um die Jahreswende 1937/38 entstand aus der Gruppe um Otl Aicher und den Geschwistern Scholl ein neuer Freundeskreis.

Mit dem Kriegsbeginn im September 1939 bewegten diesen Kreis noch entschiedener die Fragen nach dem Sinn des Daseins. Die Freunde vertieften sie sich auch in die Werke Theodor Haeckers, von dem sie bereits Aufsätze aus der katholischen Reformzeitschrift "Hochland" kannten. Sie lasen Haeckers Werke "Was ist der Mensch?" und auch "Der Christ und die Geschichte". Sie drangen in geistige Welten vor, in denen Otl Aicher neue Wege erkundet hatte. Und Otl Aicher wollte seine denkerischen Vorbilder auch persönlich kennen lernen und besuchte zunächst Carl Muth in München und später auch Theodor Haecker. In seinen Lebenserinnerungen "Innenseiten des Kriegs" blickt Otl Aicher zurück auf seine erste Begegnung mit Haecker: "Es gehört sehr viel mehr wirklicher Mut dazu, gegen die Ungerechtigkeit oder die Lüge eines geistigen oder geistlichen Tyrannen ein Wort zu sagen, als triebhaft in ein Maschinengewehr zu laufen!"

Ende Oktober 2001 besuchte ich in München einen Jugendfreund Willi Grafs, den hochbetagten Philosophen Hermann Krings (1913 - 2004). Und er erzählte mir, wie er als Student einmal eigens ins Cafe Luitpold, zwischen Feldherrnhalle und Türkenkaserne gelegen, ging, um den seinerzeit so namhaften Essayisten und hochgeschätzten Existenzphilosophen Haecker aus nächster Nähe zu sehen; denn Krings hatte erfahren, dass der unnahbare Theodor Haecker gerne dort weilte.

Haecker war 1905 nach München gekommen. Mit Kriegsbeginn im August 1914 wurde Haecker zum Satiriker. Bald wurden seine polemischen Angriffe auf den militaristischen Zeitgeist von der Zensur verhindert. Im April 1921 konvertierte Haecker zur katholischen Kirche. Wenige Wochen später war Carl Muth, der Herausgeber des "Hochland", auf Haecker aufmerksam geworden. Nach dem Putschversuch Hitlers im November 1923 sprach Haecker von Hitler als der "Bestie". Im Umfeld der Bücherverbrennungen vom Mai1933 wurde Haecker Haus durchsucht; Haecker selbst wurde vorübergehend festgenommen. Als Gegner des Nationalsozialismus erhielt Haecker 1936 Rede-, 1938 Publikationsverbot.

Der neomarxistische Philosoph Max Horkheimer (1895 - 1973) freilich urteilte 1936 über Haecker: "Vor allem durch die ihm innewohnende Sehnsucht nach universaler Gerechtigkeit erweckt Haeckers Wort Achtung." Wir können Haeckers Haltung und seinen Anspruch am schönsten aus einer Aufzeichnung ersehen, die in seinem Nachlass gefunden wurde: "Ich habe nicht die Macht zu verhindern, daß heute das Gesindel die Welt regiert, aber gegen eines kann ich mich Gott sei Dank doch wehren, so schwach ich auch bin, daß mir nämlich das Gesindel die Welt erklärt. Hier bin ich nicht wehrlos."

Hans Scholl begegnete Theodor Haecker, als er im WS 1941/42 Carl Muths Privatbibliothek in München-Solln ordnete; denn alle 14 Tage besuchte Haecker seinen Weggefährten Carl Muth. Für die Entschiedenheit des Denkens, für die Offenheit, neue Horizonte zu erhellen, für die Kühnheit, die Grenzen von Welt, Mensch und Geschichte zu erkunden und für die Schärfe des prophetischen Widerspruchs ist Haecker der geistige Vater.

Im ersten Flugblatt der "Weißen Rose" (Ende Juni 1942) stoßen wir auf den Aufruf: "... verhindert das Weiterlaufen dieser atheistischen Kriegsmaschine!" Schon im Februar 1941 hatte Theodor Haecker die Deutschen angeklagt: "Euer Ruhm ist ohne Glanz. Er leuchtet nicht. Man spricht von euch, weil ihr die besten Maschinen habt - und seid. In diesem Staunen der Welt ist kein Funke von Liebe. Und nur Liebe gibt Glanz. Ihr haltet euch für auserwählt, weil ihr die besten Maschinen, Kriegsmaschinen baut und sie am besten bedient." ("An die Deutschen 1941")

Und im vierten Flugblatt der "Weißen Rose" lesen wir: "Überall und zu allen Zeiten der höchsten Not sind Menschen aufgestanden, Propheten, Heilige, die ihre Freiheit gewahrt hatten, die auf den Einzigen Gott hinwiesen und mit seiner Hilfe das Volk zur Umkehr mahnten." Wie kamen Hans Scholl und mit ihm andere Studenten der Humanmedizin dazu, in ihren Flugblättern von "Propheten" und "Heiligen" zu sprechen, während sie andererseits Hitler als "Antichrist" und "Dämon" anprangerten?

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