Aktionskünstler Gunter Demnig verlegt erste neun "Stolpersteine" in Crailsheim
Der Arbeitskreis Weiße Rose hat diese Aktion unterstützt und die Patenschaft für einen Stein übernommen.
Sie waren Nachbarn, Geschäftspartner, Freunde - bis die Nationalsozialisten die Crailsheimer Juden unbarmherzig ausradierten. Seit gestern erinnern die ersten neun "Stolpersteine" an die Ermordeten.
Autor: SEBASTIAN UNBEHAUEN | 14.11.2012
Es ist eiskalt an diesem Dienstagmorgen im November, man fröstelt. Die Sonne aber strahlt an einem blauen Himmel. Irgendwie passt das Wetter zum Anlass, als der Künstler Gunter Demnig in Crailsheim die ersten "Stolpersteine" verlegt. Kalt läuft es einem über den Rücken, als Schüler der 12. Klasse des Wirtschaftsgymnasiums die Lebensläufe Crailsheimer Juden verlesen, die allesamt ein jähes Ende in den Todeslagern der Nazis fanden. Ein Frösteln verursacht auch das Klarinettenspiel Hans Kumpfs, das den Schmerz in Töne kleidet.

Gleichwohl hat die "Stolpersteine"-Aktion eine heitere Seite: Aus gesichtslosen Opfern werden konkrete Crailsheimer Bürger. Längst Vergessene kehren zurück ins Bewusstsein der Menschen in der Stadt. "Es ist vor allem interessant, dass sie so ein gutes Leben geführt haben, sogar Läden hatten", sagt der Gymnasiast Erik Lupp.
Das will Demnig erreichen: Dass Passanten möglicherweise kurz innehalten, sich bestenfalls Gedanken machen, das Ausmaß der damaligen Verbrechen plastisch vor Augen haben - also "mit dem Kopf und mit dem Herzen stolpern".
Die "Stolpersteine" - die eben verlegt sind, also nicht tatsächlich stolpern lassen - sind kleine Betonwürfel, deren Oberfläche eine Messingplatte mit Informationen zu jüdischen Opfern ziert. Jeder Stein ist in Handarbeit gefertigt, Buchstabe um Buchstabe ist händisch eingraviert. Das ist dem Künstler wichtig, wie er bei der Vorstellung des Projekts am Vorabend in der Spitalkapelle deutlich machte: Nichts soll an Maschinenarbeit, an Fabrik erinnern - als Kontrast zum industriellen Morden im Dritten Reich.

"Hier wohnte" steht da zu Beginn des Textes in der Regel, am Ende steht meist der Mord. Wer die Daten am Boden liest, der verbeugt sich automatisch vor den Entrechteten, so Demnigs Intention.
Crailsheim ist die 804. Kommune in Deutschland mit "Stolpersteinen". Die Initiativgruppe Geschwister Scholl hat das Projekt vorangetrieben, der Gemeinderat begrüßte es einstimmig. Bereits für 37 von voraussichtlich 48 Steinen sind Paten gefunden. Im kommenden Jahr sollen weitere verlegt werden.
(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Hohenloher Tagblatts)